Meine Generation ist eine reisende. Sie nutzt alle Freiheiten, alle Annehmlichkeiten, alle Vorzüge, die der Massentourismus mit sich bringt. Je exotischer das Ziel, desto besser.
Ich liebe sie auch, die Fernreisen. Aber man kann sie in der Regel an ein bis maximal zwei Fingern abzählen, möchte man nicht nur Zeit im Flieger sondern tatsächlich auch am Zielort verbringen. Um über das Jahr verteilt ganz viel Freunde aufs Wegfahren zu kreieren, bedarf es einiger guter Ziele in nicht allzweiter Entfernung, die sich perfekt für Kurztripps eignen. Sie schonen neben der knappen Ressource Zeit auch das Budget (es sei denn man ist auf einen gewissen Luxus angewiesen). Ein solches nahbares Ziel ist die Sächsische Schweiz. Aus irgendeinem Grund führte es mich erst vor zwei Jahren hier her, obwohl ich doch gerade mal 230 km entfernt aufwuchs.
Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich, wie viele andere, komme hier und da an einen Punkt der Stadt-Verdrossenheit. Hat man diesen Zustand erreicht, an dem man Menschentrubel erschöpfend findet, dann mag diese head over heels Reaktion nicht ungewöhnlich sein. Wer verliert sich schließlich nicht gern in der Ruhe des Waldes, wird nicht gern überrascht von immer neuen Wendungen malerischer Wege, die mitunter in schwindelerregende Höhen münden, trifft nicht gern auf beeindruckende Felsformationen, neben denen alles andere so klein und deplatziert wirkt.
Meine Liebeserklärung an diese Region und den Malerweg insbesondere, würde ich hier nicht öffentlich machen, hätte ich mehr als ein paar bescheidene Leser, möchte ich doch zumindest in off-seasons noch größtenteils in trauter Zweisamkeit durch den Wald stapfen – mit nicht mehr im Ohr als dem Rascheln, Rauschen und Zwitschern des Waldes.
Die Sächsische Schweiz ist vor allem bekannt durch ihre beliebte Reisedestination: die Bastei. Ein Ort, den man zwar unbedingt besuchen sollte – idealerweise jedoch an Tagen, die andere nicht zum Rausgehen einladen. Denn wer vor Menschen flieht, wird hier die traute Verbundenheit mit der Natur und nur der Natur nicht finden. Statt dessen führen Selfiesticks und Regenschirmen folgende Schwärme in Funktionskleidung zu Schnappatmung. Hat man seinen Blick über das Elbtal und das Elbsandsteingebirge streichen lassen, ist den Weg über die Basteibrücke gegangen, so kann man sich guten Gewissens flink von hier fortbewegen, um die Bewegung und die Ruhe zu suchen, die, der gemeinen Bequemlichkeit sei es gedankt, nicht die Massen anzieht.
So schön die Natur in vielen Regionen auch ist, eines sucht man dafür leider häufig vergeblich: gute Küche. Es dominiert die traditionelle Hausmannskost, die zweifelsohne sehr gut sein kann, aber, meiner Erfahrung nach, meist doch nur mittelmäßig ist. Durch Zufall stieß ich beim ersten Besuch auf ein Restaurant, dass sich, welch eine Überraschung, ganz untypisch für diese Region positionierte. Vegetarische/vegane Küche und das noch in einem Ambiente, das man liebevoll-modern nennen kann, war Balsam für meine geplagte Foodieseele, die Abende zuvor in rustikalen Gasthäusern verbracht hatte. Ohne charmantem Ambiente, dafür mit Klößen aus der Packung und zähem Kassler.
Es stellte sich heraus, dass ein wacher Unternehmer die Dringlichkeit erkannt hatte, mit der es die Region, die häufig vom Hochwasser betroffen war, zu retten galt. Schmilka ist ein winziger Ort an der Grenze zu Tschechien, der innerhalb kurzer Zeit die Hälfte seiner Bevölkerung durch Abwanderung verloren hat. Es blieben gerade mal knapp 100 – ja, der Ort ist klein. Sehr klein. Sven Erik Hitzer, der einst zum Wandern in die Region kam, hatte eine Vision, die er konsequent umgesetzt hat, trotz ständiger Widrigkeiten, die das Hochwasser mit sich brachte. Er schuf nicht nur ein Restaurant, dass sich ganz stark von anderen Restaurants in der Region abhebt, er schuf ein ganzheitliches Tourismus-Konzept. Der Fokus dabei liegt auf Bio. Aus dem ersten Bio-Restaurant in Sachsen entstand in den letzten Jahren so viel mehr. Hotels, Ferienwohnungen, eine Brauerei, Bäckerei und überall arbeitet man nach strengen ökologischen Standards.
Sven Erik Hitzers Vision hat den Ort fest im Griff und das ist gut so. Schmilka wird Leben eingehaucht. Nicht nur, weil mehr Besucher kommen und wiederkommen, sondern auch, weil man am Puls der Zeit bleibt. Man fühl sich wohl in den mit unfassbarer Liebe zum Detail eingerichteten Restaurants. Der kleine Kern seiner Bio-Oase ist eine Ansammlung an alten Fachwerkhäusern, zu denen eine Mühle, die Brauerei und Bäckerei gehört. Auf dem Hofe nebenan lodert Feuer in großen Öfen, drinnen kann man nach dem Essen dem Filmabend beiwohnen oder der Live-Musik von lokalen Künstlern lauschen. Denn auch das macht das Konzept attraktiv: es passiert was in Schmilka. Man muss die Abende nicht vorm Fernseher verbringen, sondern kann sich unter Leute begeben – sind es auch nicht viele, aber wenige sind besser als keine, in dieser mitunter fast schon einsamen Region an der Elbe.
Ich persönlich würde immer wiederkommen. Der Natur wegen und der Abgeschiedenheit. Der guten Küche wegen und der Gemütlichkeit, die in diesem kleinen Bio-Refugium den Gast erwarten. Vielleicht ist es auch einfach das heimelige Gefühl, das die perfekte Ergänzung ist zur Ruhe der Wälder, Felsen und Canyons. Und die Tatsache, dass es nur einen Katzensprung vom quirligen Berlin entfernt ist.